Montags hat Lenin Ruhetag

Moskau bietet die hervorragende Möglichkeit, Touristenströme aus aller Welt zu bewundern. Busladungen von japanischen und europäischen Pauschalreisenden vornehmlich im Rentenalter drängen sich durch den Kreml und über den Roten Platz.

Japanische Touristen vor der Donnerflinte des Zaren (aus der nie geschossen wurde) und ein einsamer Tourist vor der Hells Bell, der größten Glocke der Welt (die nie geläutet hat):

 

Deutsche Reisegruppe beim Sammeln am roten Regenschirm, verirrter Ungläubiger in einer orthodoxen Kirche, touristisches Stillleben am Roten Platz und eine unbekannte Touristin (die nicht erkannt werden will) vor dem Lenin-Mausoleum (das montags geschlossen ist):

     

Während dem gemeinen Wahlvolk die Räumlichkeiten der vergangenen Herrscher vorgeführt und der Besucherstrom von der Polizei über genau markierte Wege durch den Kreml geleitet wird, hüllt sich die wahre Macht hinter Stofffassaden und Eisentoren.

 

Doch auch an Kuriositäten ist Moskau nicht arm. Allein der Gorki Park kann mit einigen interessanten Details aufwarten, an denen zu erkennen ist, dass der ehemalige Antagonist Amerikas komplett den Wettbewerb aufgegeben hat. Coca Cola-Werbung im Vintage-Stil, zweisprachige Beschilderung, das ehemalige russische Space Shuttle (das nie im Weltall war), unter dessen Flügeln jetzt ein Fahrradverleih residiert, und ein ehemaliger James Bond-Darsteller, der für englischen Tee Werbung macht.

     

Am Roten Platz treffen wir zufällig wieder auf Brenda aus der Schweiz, die wir bereits in Astana am Eingang der Immigrationsbehörde kennengelernt haben. Sie ist seit fünf Monaten mit ihrem Auto quer durch die Türkei, Georgien, Aserbaidschan, Irak, Iran, Zentralasien und Russland unterwegs und hat mir eine Erfahrung in Kasachstan voraus, die ich gerne noch gemacht hätte: Sie war einen Tag im Knast. Der Grund: Wegen der Reparatur ihres Autos (Ölwanne aufgerissen) war sie zu spät in Astana, um ein Visum für Russland zu beantragen. Wegen der Überziehung ihres Kasachstanvisums musste sie vor Gericht und da sie keinen Beleg für die Reparatur hatte, stand sie vor der Wahl, 850 Dollar Strafe zu zahlen oder einen Tag ins Gefängnis zu gehen.

An unserem lauschigen Übernachtungsplätzchen in einer kleinen Seitenstraße in fußläufiger Nähe zum Kreml und zum Gorki Park können wir abends einem freien Konzert beiwohnen. Dann kommt ein bärtiger Franzose auf die Bühne, der augenscheinlich in Russland sehr bekannt ist – offenbar ein Schriftsteller oder Regisseur. Wer kennt diesen Mann, der lautstark die Freiheit der Pussy Riots (Jubel) und von Michail Chodorchowski (hier wird es betreten still im Publikum) fordert?

     

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Rückzug

Ich fühle mich wie Neil Armstrong auf dem Rückflug vom Mond, oder besser, wie die Grande Armée auf dem Rückzug von Moskau. Um uns herum tiefer Herbst, der sich durch matschige Feldwege ins Profil der Reifen quetscht. Das Auto und die Crew sind nur noch ein Schatten ihrer selbst. Alles wird provisorisch durch Panzerband zusammengehalten. Im LT-eigenen Rhythmus haben wir alle 1.000 Kilometer ein Problem oder Problemchen: undichte Dichtung am Differenzialgetriebe, Auspuff gerissen, Unterbrecherkontakt verstellt, Kontakte in der Elektrik losgerappelt. Und wenn man beim Fahren genau hinhört, kann man schon die nächsten technischen Herausforderungen erahnen.

 

Wir brettern entlang des 56. Breitengrades gen Westen. Die Zeitzonen fallen wie Dominosteine. Manchmal sind wir unsicher, wie spät es eigentlich ist. Die Landschaft präsentiert sich als ein eintöniges Feld-, Wiesen- und Waldagglomerat. Wahrscheinlich könnte man die Welt auf dieser geografischen Breite umrunden, und außer ein paar unwesentlichen Wasserüberquerungen sähe es überall gleich aus.

     

Zwischen dem landschaftlichen Grün in Grau und Blau tauchen alle ein bis zwei Tankfüllungen plötzlich riesige Millionenstädte mit Hochhaussiedlungen am Rand auf. Ekaterinburg, Perm, Kazan, Niznij Novgorod. Auf der Karte sehen sie aus wie der letzte Verteidigungswall gegen den ewigen Winter. Nur Stockholm, Oslo, Helsinki und St. Petersburg liegen nördlicher, aber diese Städte haben ja auch unfairerweise ein Meer vor der Tür.

Ekatarinburg (hier wurde die Zarenfamilie von den Bolschewiken gelyncht):

     

Kazan (eine Enklave der Tataren, daher die Moschee mitten im Kreml der Stadt):

     

In den Städten Hochzeitsgesellschaften, bayrische Bierhäuser, Wände aus Wodka und glückliche Ölkäufer:

     

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Bye-bye Central Asia

Trotz der vielen netten und gastfreundlichen Menschen, die wir getroffen haben, und der schönen Landschaften in der Steppe und im Tienchan-Gebirge sind wir froh aus dem Kasachstan-Knast heraus zu sein. An die 50 Polizeikontrollen in zwei Monaten, davon mindestens 10 Versuche unter Androhung von „Straf“ Schmiergelder zu erpressen, sowie eine absurde Registrierungspflicht für Touristen bei der Immigrationsbehörde lassen Besucher dieses Landes sich nicht wirklich willkommen fühlen. Ich habe bisher noch nie ein Land bereist, das seine Bevölkerung und insbesondere Touristen so intensiv überwacht. Nur Nordkorea stelle ich mir schlimmer vor. So schnell kommen wir nicht zurück. Vielleicht in 2030, wenn die Modernisierungsinitiative des derzeitigen und wahrscheinlich dann noch im Amt befindlichen Präsidenten Nasarbajew zu Ende und das Land modernisiert ist. Unter Modernisierung verstehe ich jedoch nicht nur anständige Straßen, sondern mehr Demokratie und Freiheit für die Bürger und keine Korruption von behördlicher Seite mehr. Ausgerechnet die Geldgier der Polizisten müssen Touristen in diesem Land, das ansonsten so sicher ist wie jedes EU-Land, fürchten.

Kasachstan ist ein Land voller oberflächlicher Fassaden. Es erscheint wie eine offene Demokratie, doch die faktische Alleinherrschaft des Präsidenten, der bereits entgegen der eigenen Verfassung seit 20 Jahren an der Macht ist und von unzähligen Plakaten auf seine Untertanen herablächelt, und seiner Familie zeigt in der Kombination mit der Totalüberwachung, der eingeschränkten Meinungsfreiheit und den von der OSZE angeprangerten Wahlmanipulationen (nur die Regierungspartei ist im Parlament vertreten) das wahre Gesicht der Herrschaftsform.

Der Reichtum, der in den Ölstädten des Nordens sowie in Almaty im Süden zur Schau gestellt wird, steht in keinem Verhältnis zur Armut in den Städten in der Steppe in der Mitte des Landes. Städte wie Aralsk und Astana können widersprüchlicher nicht sein. Auf der einen Seite Hochglanzstraßen, die täglich mit Wasser gereinigt werden, Hochhäuser mit Glasfassaden und Supermärkte, in denen mehr Wachpersonal herumläuft als Verkaufspersonal. Auf der anderen Seite eine verrottende Müllhalde mit einer Kindersterblichkeit von 10 Prozent, exotischen Krankheiten wie die Pest und staubigen Holperstraßen.

Wenn man dann noch die sechsspurige, hypermoderne und 400 Kilometer lange Autobahn zwischen Astana und Kokschtau sieht, für deren Verkehrsaufkommen ein simple zweispurige Landstraße ausgereicht hätte, und bedenkt, dass in manchen Provinzen wichtige Verkehrsverbindungen vollkommen zerstört sind, dann wird deutlich, woran es in Kasachstan fehlt: an vernünftigen, sachgeleiteten Entscheidungen und an einem Strukturausgleich, den es nur in föderalen Demokratien gibt.

In Kasachstan wird das Geld aus der Erdölförderung im Norden des Landes direkt in die Aufrechterhaltung der Fassade gepumpt, um der Welt und vor allen Dingen der eigenen Bevölkerung die Rechtfertigung der Machtagglomeration beim Präsidenten zu suggerieren. Die Totalüberwachung des Verkehrs hat die Regierung im Gegensatz zu den westlichen Staaten des Ostblocks wie Polen, Rumänien, Bulgarien, Ungaren etc., die die Verkehrsposten an Provinzgrenzen und vor größeren Städten direkt nach der Wende abgeschafft haben, von der vormaligen Sowjetherrschaft übernommen. Die Menschen nehmen die Entscheidungen augenscheinlich hin, weil es durch das Erdöl sichtbar wirtschaftlich aufwärts geht und weil unverschämter relativer Reichtum im kapitalistischen Neoliberalismus nicht verpönt ist. Die Mischung aus autoritärer Herrschaftsform und Ölreichtum manifestiert sich jedoch manchmal im direkten Kontakt mit den Menschen als eine Form von übersteigertem Selbstbewusstsein, die an Hochmut grenzt. Sprich: Wir sind in den Städten im Norden von Jugendlichen offensichtlich neureicher Eltern mehrfach als auffällige Touristen auf offener Straße verhöhnt worden, und zweimal haben entgegenkommende Fahrzeuge direkt auf uns zugehalten, um uns einen Schrecken einzujagen.

Kirgistan hat uns hingegen positiv überrascht. Abgesehen von einer üblen Polizeiabzocke, gegen die wir uns erfolgreich hätten wehren können, wenn wir die Energie und die Zeit aufgebracht hätten, sind wir in einem Monat „nur“ fünfmal kontrolliert worden. Kirgistan ist das einzige Land in Zentralasien, das seit dem Sturz des ehemaligen Präsidenten Bakijew, der ausgerechnet nach Kasachstan geflohen ist, ernsthaft versucht, eine parlamentarische Demokratie zu etablieren. Es existiert keine Registrierungspflicht für Ausländer, und die Visumspflicht für Bürger vieler europäischer Staaten wurde im August 2012 abgeschafft. Es gibt erste zarte Pflänzchen touristischer Kooperationen wie das Community-based Tourism.

Nach einem viertägigen Ritt und teilweise 800 km pro Tag, die Dank der einigermaßen guten Straßen zwischen Almaty und Astana möglich waren, sind wir jetzt in Russland angekommen. Eine undichte Umlaufdichtung zwischen Kardanwelle und Differenzial hat uns zusammen mit der Registrierung in der Immigrationsbehörde und einem Gesundheitszeugnis für unseren Hund bei einem Tierarzt einen Tag in Astana gekostet.

Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal Russland mit guten Straßen, weniger Polizeikontrollen und korrekten Polizisten in Verbindung bringen würde. Auch wenn das nach den derzeitigen Nachrichten aus Russland seltsam klingt: Für uns als Touristen ist Russland die pure Freiheit. Wir können uns frei bewegen und müssen keine üblen Polizeikontrollen befürchten. Die Verkehrspolizei kontrolliert Verkehrssünder und nicht pauschal die Bevölkerung. Russland ist in vielerlei Hinsicht europäischer, als man vermuten würde.

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„Welcome to Kazakhstan!“

Ich stehe in einer mit Reisenden überfüllten Halle an der Grenze Kirgistan – Kasachstan. Sechs Schalter mit dem Hinweis „Passport Control“ sind geöffnet. Reisende ohne eigenes Fahrzeug – dazu zählen auch Beifahrer – müssen hier durch. Fahrer passieren die Grenze mit ihrem Fahrzeug an dem  Schalter draußen.

Menschen mit unterschiedlichsten Haut- und Haarfarben, Gerüchen, junge und alte Frauen und Männer, Kinder, drängeln vor den Schaltern und reden, schnauzen, rufen auf Kirgisisch, Kasachisch, Russisch, Englisch… Als ich endlich an der Reihe bin, schiebe ich meinen Reisepass durch den Schlitz in der Glasscheibe. Der Grenzbeamte ist mürrisch. Ich bin skeptisch. Was passiert jetzt? Vielleicht gibt es Probleme mit dem Visum. Vielleicht „Straf“, für was auch immer. Er nimmt den Pass, betrachtet die Vorderseite. „Guten Tag“, begrüßt er mich in meiner Muttersprache. Ich bin überrascht. Er blättert langsam durch den Pass. Sein Blick wird erst konzentriert, dann grimmig. Er tippt – nein, hackt – etwas in den Computer. Fordert mich auf, in die Kamera zu blicken. Ich werde ein wenig nervös, hinter mir drängelt eine etwa 65jährige Russin mit Alkohol- und Nikotinfahne. Der Grenzer wird energisch. Weist sie in die Schranken und knallt mir einen Stempel in den Pass. Er schließt den Pass langsam, bedächtig. Sein Blick wandert, schaut mir zum ersten Mal in die Augen. Ein langer Moment, eine kleine Ewigkeit passiert nichts. Ich halte den Atem an. Jetzt wird sein Blick heller. Er verzieht seinen Mund zu einem Lächeln und sagt: „Welcome to Kazakhstan!“

Nein, kein Werbespot des kasachischen Tourismusministeriums. Das war tatsächlich meine Einreise Kasachstan die Zweite. Nach diesem  Empfang überlege ich kurz, ob ich unsere Kasachstan-Flagge – ich hatte sie in Schymkent bei einem Straßenverkäufer erworben – doch wieder in die Windschutzscheibe kleben sollte. Verwerfe den Gedanken aber gleich wieder. Denn ich bleibe angespannt. Vor den Toren muss ich in sengender Hitze mit hunderten Reisenden, Angehörigen und marktschreierischen Taxifahrern („Almaty! Schu! Dingsbums!“) auf Karsten, Loukas und den Bus warten.

Die Kasachstaner trennen Fahrer und Beifahrer an ihren Grenzen. Mich macht das sauer. Was passiert, wenn einer schon drin ist im Land, der andere aber nicht reindarf, weil vielleicht etwas mit den Zollpapieren nicht stimmt oder mit dem Hund oder so? Und der andere kann nicht mehr zurück, weil er dann ein neues Visum für die nächste Einreise braucht? Von allen Grenzen auf unserer Reise wurde das bislang nur in Kasachstan so gehandhabt.

Während ich auf Karsten warte, kaufe ich mir in einem Kiosk eine Cola. Dort will ein kasachischer Grenzbeamter in seiner Frühstückspause lustiges „Deutsche-Automarken-Raten“ mit mir spielen. Das ist ein sehr beliebtes Spiel hier in Zentralasien, besonders bei Offiziellen. Manchmal auch ersetzt durch die etwas anspruchsvollere Variante „Deutsche-Fußballspieler-Raten“. Ich bin immer wieder überrascht, wie viel die Menschen hier über Deutschland wissen (mal abgesehen von dem Tankstellenwart, der mich fragte, ob ich in der BRD oder der DDR wohne). Ich muss gestehen, dass ich nach sechs Wochen im Land immer noch nicht weiß, ob Kasachstan überhaupt eine Fußball-Nationalelf hat. Ich bin erleichtert, als der karibikgrüne Bus nach einer Stunde endlich durch das Grenztor auf mich zu rauscht.

Wir möchten Kasachstan jetzt zügig Richtung Norden durchqueren, um dann nach Westsibirien in  Russland – zwischen Ural und Altai – auszureisen. Die ersten 1.400 Kilometer bis in die kasachische Hauptstadt Astana müssen wir in maximal fünf Tagen gemacht haben, um uns registrieren zu lassen. Tun wir das nicht oder zu spät, riskieren wir eine horrende „Straf“ und ellenlange Verhöre bei der Ausreise. So zumindest warnen unser Reiseführer und die Mitarbeiter des Deutschen Konsulats in Almaty. Hinter Astana sind es nur noch 500 Kilometer bis zur russischen Grenze. Auch unser Visum weist uns in die zeitlichen Schranken. Es endet am 12. September. Und da wir ja nie wissen können wie schlecht oder gut die Straßen sind und ob wohlmöglich noch eine größere Panne dazwischen kommt, ist es klüger, zügig voran zu kommen. Für Visaüberschreitungen geht man hier nämlich in den Knast, habe ich gehört. Zwar nur einen Tag, aber immerhin. Wir trafen eine Schweizerin, die am gleichen Nachmittag noch eine Gerichtsverhandlung vor der Brust hatte. Sie war eine Woche drüber, weil sie ihr Transitvisum für Russland nicht rechtzeig bekommen hat.

Die letzten Tage oder Stunden in der Steppe genieße ich trotzdem. Diese Weite werde ich vermissen.

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Zehn Tage sind keine zehn Monate!

Ein Gastbeitrag von Peter Mogga…

Jaaa, wir durften Ende August  eine kurzweilige, mit täglichen Abenteuern versehene, gleichzeitig aber auch anregende bis umwerfende Zeit in vielleicht den schönsten Landstrichen Kirgistans verbringen. Uuund, was sehr erleichternd und ein hohes Maß an Sicherheitsgefühl ergab, war, wir wurden rund um die Uhr an die Hand genommen, von Sylvia und Karsten.

Toll, wie die Beiden das organisiert haben. Es war klar, da ja erkundet und vorbereitet,  wo die schönsten Ecken und Plätze in diesen eher süd- östlichen Landstrichen ( von Bishkek aus gesehen) ihrer Meinung  nach sind. Es war klar nach welchen einheimischen Rezepten eingekauft und gekocht wurde, und es war klar, was das Auto schaffen, besser (sehr) wahrscheinlich schaffen,  kann. Es schaffte mit zusätzlich Gewicht in Form unserer zusätzlich ca. 150 kg Lebendgewicht und dem Gewicht unseres Gepäckes die steilen Pässe auf Schotter- und / oder Sandwegen hoch und hinab. Nur am Rande sei erwähnt, dass Karsten tägliche Nervenreizungen wegen des Autos ertragen musste. Ist ja dem regelmäßigen Leser dieses Blogs sicher keine neue Erkenntnis! Was immer stimmt, sind seine Diagnosen der Macken dieses Wahnsinnsautos.  Schade, dass wir ihn zwischendurch einige Stunden schrauben oder Inspektionen machen lassen mussten, während wir mal wieder interessante, neue Dinge erleben durften. Aber was hätten wir ohne sein handwerkliches Können gemacht?

        

Und dann: Es wurde endlich das große, bisher unangetastete, Zelt jeden Tag auf- und abgebaut, quasi als Luxussuite für uns. Zu viert im Wohnmobil haben wir nicht ausprobiert, obwohl wir auch das gemeistert hätten. Aber was war das doch nach so vielen Jahren Campingabstinenz, plus eine Nacht in der Jurte, ein quasi „Jungseinrückholgefühl“. Da wir überwiegend in der Nähe von Wasser genächtigt haben, waren auch ein Kaltwasserwasch und ein Abhärtungsprogramm inklusive. Und der zarte Salzwasserschmelzgeschmack der „Kulen“, wie könnte der jemals vergessen werden oder verloren gehen? Ich schmecke  es ganz deutlich jetzt gerade.

  

Welche Bilder dieser kurzen, strapaziösen aber sehr intensiven Reise fallen jetzt von zu Hause aus (es regnet seit Stunden und ist fies kalt) spontan und vordergründig ein?  Berge, Täler, Schluchten, Flüsse, Seen, Steppenhochland mit  Rinder-, Schaf-, Ziegen- und Pferdeherden. Alle Tiere vereinzelt (auch Esel) oder in Herden nicht nur in der Steppe, sondern auch in Städten auf Straßen und Plätzen anzutreffen. Halbnomaden! in Jurten, stolze Reiter, Menschliches in allen Facetten. Die junge Generation schmeißt sich,  wenn’s ab in die Stadt geht,  in Schale. Handy trägt man betont westlich offen. Verdammt nett die Kirgisen!

       

Da ist noch das nicht so nette Thema Müll, was mir so oft durch den Kopf ging. Je schöner die Natur (die Plätze), desto schlimmer. Die leeren Flaschen des exzellent schmeckenden kirgisischen Wodkas gehören nicht in die Steppe, schon gar nicht in Form von Scherben! Auch Plastikflaschen sind recycelbar und lassen sich zu Geld machen, wenn es schon kapitalistisch sein muss.

„Umwelterziehung“ ist sicherlich eher kein Schulfach. Leider unterscheidet sich der „zivilisierte Westen“ in weiten Teilen ja auch nicht mehr großartig von diesem Verhalten. Trotzdem glaube ich, dass die erhofften Touris nicht kommen werden, wenn sich immer mehr Menschen daran stören und es weiter erzählen. Da ist ein großes Programm gefragt und große wegweisende politische Entscheidungen. Hat die junge Demokratie schon so eine Kraft? Wir alle, die Einzeltouris, Kleingruppen etc., sollten den  Verantwortlichen  Briefe schreiben, wohlwollende Briefe.

Thema Überschrift: Nach allem, lieber Karsten, was ich aus den letzten Wochen (seit „Warum ich gerade so mies drauf bin?“) deinen Texten entnehmen konnte, glaube ich in der Tat, dass das Kernproblem der zu lange Zeitraum ist. Ich erinnere mich an das Gespräch mit dem Rad fahrenden Schweizer Pärchen vom Song Kul, die dies auch deutlich gesagt haben.

Das „Phänomen Heimweh“ darf nicht unterschätzt werden. Man kann sich noch so gut auf alles vorbereiten und auch viele Pläne schmieden und sich Aufgaben stellen. Wenn dann auch noch länger anhaltender Stress wie mit dem Auto dazu kommt, kocht‘ s über. Man sehnt sich nach dem, was man kennt, dass einem vertraut ist, wo man sich wohl gefühlt hat. Ich wünsche euch Beiden viele entspannte Momente, viel Spaß, das Treffen vieler netter Menschen und Glück mit dem Auto.

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Der Oš-Basar in Bischkek… Eindrücke

Der Oš-Basar ist der größte Markt in Bischkek. Wir kamen spät am Nachmittag dort an und hatten nur wenig Zeit. Ein paar Schnappschüsse sind mir trotzdem gelungen…

        

       

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Prževalskijs letzte Ruhestatt und mein fernster Osten: Karakol

So weit östlich war ich nie. Und weiter östlich werde ich erst einmal auch nicht kommen. Zumindest nicht auf dieser Reise. Karakol (zu Deutsch: schwarze Hand) ist das Verwaltungszentrum des Issyk-Kul-Gebietes und liegt am östlichen Zipfel des Sees. Die Kosaken benannten die Stadt 1864 so wegen des fruchtbaren Ackerbodens. Falls jemand diesen Zusammenhang versteht, bitte kommentieren. Mein Reiseführer schweigt sich dazu aus.

Der Forschungsreisende Nicolaj M. Prževalskij starb 1888 in Karakol an Typhus, nachdem er bei einer Tigerjagd aus dem Fluss Čuj trank. Seinen Namen kennt man heute durch die nach ihm benannten Przevalskipferde. Er hat sie entdeckt, die kleinen Steppenpferde. In freier Wildbahn sind sie heute wahrscheinlich ausgestorben.

Bevor wir die Stadt erreichen, machen wir einen Abstecher zu den Džeti-Oguz-Felsen, die mein Reiseführer als eine der Hauptsehenswürdigkeiten Kirgistans anpreist. Der Legende nach waren die roten Felsen vor langer Zeit einmal sieben (kirgisisch: džeti) wilde Ochsen, die das Land verwüsteten und zur Strafe in Stein verwandelt wurden. Wer die armen Viecher verwandelt haben soll, verrät das Buch ebenfalls nicht. Vor den Felsen ist eine ganze Menge los. Ein Berkutči – diese Männer richten Adler für die Jagd auf Pelztiere ab – will, dass ich gegen ein bisschen Geld seinen Adler mal auf den Arm nehme. Das würd ich nicht einmal tun, wenn er mir Geld dafür geben würde. Stattdessen erwerben wir eine 0,33l PET-Flasche mit feinstem Bienenhonig von einem hiesigen Imker und entdecken Einheimische beim Touristenkucken.

       

In Karakol selbst essen wir im „Fakir“ zu Mittag (Ecke Gorkij/Kustobaev, gegenüber Kaufhaus). Ich bin begeistert von der kitschigen Deko, den fröhlichen Köchinnen und dem fantastischen Essen.

       

Anschließend schlendern wir durch die Stadt. Wir queren einen kleinen Basar (in dem Kinderwagen wird kein Baby sondern Brot verkauft) und eine Pastikblumen-Shopping-Meile. Eine Familie bewundert ihre offensichtlich gerade erworbene Sat-Schüssel. Die hölzerne russisch-orthodoxe Dreifaltigkeitskirche von 1896 ist leider geschlossen.

       

Geöffnet ist dagegen die Moschee, die 1910 von hiesigen Dunganen (chinesische Moslems) gebaut wurde. Sie ist ebenfalls ganz aus Holz gebaut und liebevoll bemalt und erhalten. Wir kommen ins Gespräch mit einem moslemischen Uhighuren, der ein bisschen Deutsch spricht. Er erklärt, dass die Moschee ohne einen einzigen Nagel errichtet wurde.

       

Und zum Schluss noch ein bemerkenswertes Beispiel zum Thema Arbeitssicherheit in Kirgistan, auch aus Karakol.

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Neulich beim Metzger…

  

… lag das Fleisch in Geschirrtüchern eingewickelt auf dem Tresen in der Sonne. Hat mich erst etwas abgeschreckt. Ein genauer Blick und die Geruchsprobe zeigte aber: Die Hammelkeule ist superfrisch. Gute Qualität. Bezahlbar.

Ich hab mich in Plov versucht. Ein traditionelles zentralasiatisches Reisgericht. Das Fleisch ist leider was zäh geworden. Lecker war´s trotzdem.

Ist sehr leicht nachzukochen:

Für 4 Personen brauchst du 500 g Lamm-, Hammel- oder Hühnerfleisch (hier kocht man die Knochen mit und knabbert das Fleisch dann ab), 150 g Zwiebeln, 250 g Möhren, 300 g Reis, Öl oder Fett (am besten Hammelfett), Salz.

Alles kleinschneiden, Fleisch in großem Topf im Fett anbraten, Zwiebeln und Möhren dazugeben, salzen. Jetzt Reis dazugeben, umrühren und kurz mit andünsten. Mit so viel Wasser (ich hab Fleischbrühe genommen) aufgießen, dass die Zutaten ein Zentimeter hoch bedeckt sind. Deckel drauf. 20 Minuten bei kleiner Flamme köcheln lassen, bis der Reis das Wasser aufgesogen hat.

Weitere passende Gewürze: schwarzer Pfeffer, Kreuzkümmel, Koriander und Paprika. Man kann auch eine ganze, ungeschälte Knoblauchknolle mitdünsten.

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Nach Hause

Vorgestern sind wir durch Karakol am östlichen Ende des Issyk-Kuls gefahren und waren mit 8.000 km auf unserer Route am weitesten von zuhause entfernt. Ab jetzt werden die Distanzen geringer.

Peter und Eva, bei denen wir unsere Möbel untergestellt haben und die uns für 10 Tage in Kirgistan besucht haben, fliegen morgen früh wieder nach Deutschland zurück. Irgendwie beneide ich sie, weil sie nicht mit dem Auto quer durch die ehemaligen GUS-Staaten nach Hause gurken müssen.

Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal „zuhause“ im weitesten Sinne mit der EU, Rechtssicherheit und Verständigungsmöglichkeiten auf Englisch in Verbindung bringen würde. Seitdem wir die Ukraine, ein Land, das eine Annäherung an den Westen anstrebt, verlassen haben, fühle ich mich weiter von der Heimat entfernt als in Australien. Ich weiß, dass dies nur ein Gefühl ist. Praktisch haben wir uns immer verständigen können und sämtliche formalen und technischen Probleme lösen können. Doch bisher war das immer mit viel Gerede, Aufwand und Zeit verbunden. Sobald ich an der Tankstelle wieder selber den Rüssel in den Tank hängen und die Bezahlung auf Englisch abwickeln kann, fühle ich mich irgendwie wohler. Keine Fragen mehr wie „skolka liter“ (wieviel Liter) und kein Tankvorgang mehr, wenn beim Volltanken mindestens einer von uns mit dem Geld winkend bei der Kassiererin steht, weil man ja eigentlich erst im Voraus die Anzahl der zu tankenden Liter bezahlen muss. Wenn wir von der Polizei angehalten werden, dann können wir wenigstens sicher sein, dass wir etwas falsch gemacht haben. Hier richte ich mich täglich auf ellenlange Diskussionen unter Einsatz von Händen, Füßen und ein paar Brocken Russisch mit den Uniformierten ein, auch wenn wir bei den meisten Kontrollen freundlich behandelt werden und nach kurzen Wortwechseln weiterfahren dürfen. Doch mindestens jeder zehnte Bulle ist erfahrungsgemäß ein korruptes Arschloch, das uns abziehen will. Bei den vielen Kontrollen hat man schnell einen Hauptgewinn gezogen. Und wenn ich an den ganzen Formalkram an den Grenzen mit Zollerklärungen für die Fahrzeuge, Immigrationskarten und zusätzlicher Registrierungspflicht bei der Immigrationspolizei im Land denke, dann würde ich diesen kontrollwütigen Polizeistaaten am liebsten sofort den Rücken zukehren und mit dem Flieger nach Hause düsen. Aber reden wir nicht weiter von diesem Thema. In fünf Monaten lachen wir darüber. Zuhause gibt es auch Bürokratiewahnsinn.

Zuhause, das ist irgendeine Wohnung oder ein kleines Haus südlich von Aachen in der Nordeifel, schick auf dem Land mit netten Nachbarn und einem kleinen Garten für den Hund. So stellen wir uns das zumindest vor. Das wird auch noch einmal eine kleine Anstrengung, bis unsere Möbel wieder in vier gemieteten Wänden stehen.

Zuhause, das ist auf jeden Fall Deutschland oder Zentraleuropa mit seinen vielen Menschen, Freunden, Familie, dichtem, aber geregeltem Verkehr, Arbeit, Gesundheitsversorgung, Geschäfte, in denen man alles bekommen kann, was man nicht braucht, und so weiter.

Zuhause, das bedeutet aber auch desillusionierte Menschen, Anspruchsdenken, Jammern auf hohem Niveau, Politikverdrossenheit, Arbeitstretmühle und Hundesteuer.

Es ist schon ein seltsames Gefühl, nach zehn Monaten zurückzukehren. Wir sind jetzt noch mindestens sechs Wochen unterwegs. Rein rechnerisch ist das zweimal ein Jahresurlaub. Doch in Gedanken sind wir jetzt häufiger in der Heimat als zuvor.

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8,50 Euro pro Monat

Neulich trafen wir bei einer der Reparaturen am Auto in einem Dorf auf einen Mitarbeiter der Rentenkasse, der ganz gut Englisch sprach und Narynbek hieß. Ich fragte ihn, wie hoch die Rente denn in Kirgistan sei. Ich war sehr erstaunt, als ich erfuhr, dass diese bei 1.000 Som im Monat liegt. Das sind umgerechnet 17 Euro.

Ich wusste, dass Kirgistan eines der ärmsten Länder auf der Welt ist. Doch die Armut wird höchstens durch schlechte Infrastruktur aber nicht durch die Menschen sichtbar. Bettelnde Menschen sieht man so gut wie nicht. In Deutschland begegnet man auf der Straße mehr „armen“ Menschen als in Zentralasien.

Ich fragte Narynbek, ob man denn von 1.000 Som leben könne und er sah mich verdutzt an. Natürlich könne man davon leben. 500 Som, umgerechnet also 8,50 Euro, reichten im Monat aus. 8,50 Euro? Wie soll das gehen? Bei einem Preis von 25 Som für ein Brot kann man sich von 500 Som 20 Brote kaufen. Narynbek sagte, er selbst verdiene als Staatsangestellter 7.000 Som (117 Euro) und lebe davon sehr gut. Selbst bei einem Preis von ca. 40 Cent pro Liter Benzin sind das gerade einmal drei Tankfüllungen.

Die Antwort ist sehr einfach. Auf dem Dorf leben die Menschen in ihren eigenen Häusern und besitzen immer mindestens ein paar Tiere wie Hühner, Schafe und Kühe, von denen sie sich ernähren. Wir nennen das Subsistenzwirtschaft und verwenden den Begriff synonym für Armut. Doch auf dem Land in Zentralasien ist das Normalität und wird nicht als Armut angesehen. Die Menschen empfinden sich nicht als arm, obwohl ich das nicht wirklich glauben kann. Denn es gibt genug Landsleute in den Städten, die sich nagelneue westliche SUVs und Limousinen leisten können. Für wie unglaublich reich empfinden sich eigentlich diese Menschen im Kontrast zur durchschnittlichen Landbevölkerung? Kein Wunder, dass die Oberschicht auf Verkehrsregeln pfeift und vor den Augen der Polizei bei Rot über die Ampel fährt. Mit einer Handvoll Som kann man jeden Polizisten, der wahrscheinlich auch nicht mehr als umgerechnet 100 Euro im Monat verdient, ruhig stellen. Das sind die wahren Gesetze hier. Die öffentliche Ordnung, wie sie auf dem Papier definiert ist, ist nur Makulatur. Wer sich ein Auto leisten kann, der hat per se Geld, und damit man sich als Polizist selber ein Auto leisten kann, muss man eben Schmiergelder kassieren.

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